veröffentlicht am 01.09.2017 Rechtsanwaltskammer Thüringen fordert von Politik die Wahrung von Bürgergrundrechten und eine Anpassung der Gebührenordnung

Pressemitteilung der Rechtsanwaltskammer Thüringen vom 01.09.2017

Jan Helge Kestel als Präsident der Rechtsanwaltskammer Thüringen wiedergewählt

Im Hinblick auf die am 24. September stattfindende Bundestagswahl veranstaltete die Rechtsanwaltskammer Thüringen (RAK) gestern im Victor’s Residenz Hotel in Erfurt ein Podiumsgespräch mit Thüringer Bundes- bzw. Landespolitikern zu aktuellen rechtspolitischen Themen der Anwaltschaft.

Im Podium saßen Rechtsanwalt Jan Helge Kestel, Präsident der RAK Thüringen, MdB Christian Hirte (CDU), MdB Carsten Schneider (SPD), MdB Martina Renner (Die Linke), Thomas L. Kemmerich (FDP) und MdL Stephan Brandner (AFD). Michael Kost (Bündnis90 / Die Grünen) musste aus gesundheitlichen Gründen absagen. Moderiert wurde das Podiumsgespräch von Michael Tallai, Geschäftsführer der Mediengruppe Thüringen.

Die Wahl der Krawattenfarbe – schwarz, rot, gelb oder blau – stellte Jan Helge Kestel vor ein Problem, schließlich wollte der Anwalt mit einer solchen vermeiden, daraus eine politische Referenz abzuleiten. Also blieb er Krawattenfrei, denn die Anwaltschaft gehöre schließlich zum Rechtsstaat, ist politisch neutral und vertritt bei Rechtsfragen ausschließlich die Interessen der Bürgerinnen und Bürger.

In diesem Zusammenhang ist es zunächst von existenzieller Bedeutung für die Bevölkerung und hier insbesondere für die Verbraucher, wie der Staat den Zugang zum Recht gestaltet. Alle Politiker waren sich einig, dass jeder, unabhängig seines Einkommens, Zugang zum Rechtssystem haben muss und dass die Deckelung der Prozesskostenhilfe bei 30.000 Euro nicht mehr sachgerecht sei. Einig war man sich auch, dass Anwälte an das Bundesverfassungsgericht gehören und sich der Staat bei dessen Zusammensetzung zurückhalten sollte.

Über eine Reform der Anwaltsgebührenstruktur, der ersten nach 1997 bzw. 2013, herrschte ebenfalls weitest gehende Einigkeit. Allerdings sollte eine Erhöhung der Gebühren nicht automatisch sondern nach regelmäßiger Überprüfung stattfinden.

Auseinander gingen die Meinungen zum Thema Sammel- bzw. Verbraucherschutzklagen. Stephan Brandner (AfD) hält „nichts“ davon, Christian Hirte (CDU) favorisiert eine „Musterfeststellungsklage“, Carsten Schneider (SPD) möchte den „Verbraucherschutz stärken und Sammelklagen zulassen“. Martina Renner (Die Linke) fordert „Musterklagen und ein Verbandsklagerecht gesondert zu fördern“.

Ähnlich differenziert waren die Meinungen beim Thema Rente bzw. Beibehaltung des Versorgungswerkes der Anwaltschaft. Martina Renner Die Linke), Carsten Schneider (SPD) und Stephan Brandner (AfD) warnen unisono vor einer Altersarmut, deshalb müssten alle Berufsgruppen in ein reformiertes Rentensystem einzahlen, was die Abschaffung der Versorgungswerke zur Folge hätte. Für Christian Hirte (CDU) und Thomas L. Kemmerich (FDP) geschehe das bereits über höhere Steuerzahlungen derjenigen, die nicht in das System einzahlen.

Am kontroversesten wurde ein aktueller Feldversuch am Berliner Südkreuzbahnhof diskutiert, bei dem von 300 freiwilligen Probanden mittels Gesichtserkennung Profile erstellt werden. Mit dem Ziel, Straftaten zu verhindern. Für Carsten Schneider (SPD) geht das zu weit: „Das ist ein typisches Beispiel zum Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit. Ich bin nicht gegen eine Videoüberwachung, halte aber nichts von einer Gesichtserkennung.“ „Aufgeschlossen“ dem Thema gegenüber ist Christian Hirte (CDU): „An Kriminalitätshotspots im öffentlichen Raum sind wir dafür, die Bürger erwarten das.“ Ähnlich sehen es Stephan Brandner (AfD) und Thomas L. Kemmerich (FDP), die aber beide darauf drängen, die erhobenen Daten schnellstmöglich wieder zu löschen. Für Martina Renner (Die Linke) ist das dagegen „ein Testlauf ohne rechtliche Grundlage. Flächendeckende Videoüberwachung ist zudem nicht geeignet für die Terrorabwehr, sie kann keinen Anschlag verhindern.“ Einig ist man sich allerdings, dass die Polizei mehr Personal benötigt, um die Präsenz zu erhöhen.

Die Rechtsanwaltskammer ist gegen die Gesichtserkennung.

Nach dem Podiumsgespräch wurde im Rahmen der Kammerversammlung Präsident Jan Helge Kestel in seinem Amt bestätigt. Neu in den Vorstand wurde Dr. Matthias Fertig gewählt.